Rettungsboot und Freudentränen

oder „Der Traum vom Ironman“.

von Christoph Schermer

 

Berufstätige Männer Mitte 40 planen wahrscheinlich den nächsten Karriereschritt, den Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn. Als Hausmann hatte ich mit 46 Jahren alles erreicht – Frau, vier mehr oder weniger brave Kinder, eigenes Haus. Also lautete das Motto: zum 50 Geburtstag wird der sportliche Höhepunkt geplant – ein Ironman (3,8km Schwimmen – 180km Radfahren – 42,2km Laufen).

 

Laufen konnte ich bereits, seit meinem 30 Geburtstag laufe ich regelmäßig Marathon und längere Strecken. Radfahren kann nicht das Problem werden, schließlich war ich während meines Studiums Fahrradkurier. Blieb noch das (für Triathleten oft ungeliebte) Schwimmen: hierfür benötige ich Hilfe.

 

Alle meine Kinder waren Mitglied beim MTV, da der Verein auch eine Triathlonabteilung hat, wurde ich mit 47 Jahren am 1.5.2010 Mitglied des MTV Stuttgart. Drei Jahre bis zu meinem großen Traum – das sollte genügen:

 

1. Jahr: Triathlonwettkämpfe testen; Kraulen lernen; Erfahrungen sammeln.

2. Jahr: längere Trainingseinheiten, erste Mitteldistanz.

3. Jahr: u.a. zwei Mitteldistanzwettkämpfe und Anmeldung für den Ironman

4. Jahr: Generalprobe Mitteldistanz und am 14.Juli 2013 die Langstrecke in Roth.

 

Bei den ersten Wettkämpfen schluckte ich Wasser, bekam regelmäßig Panik beim Massenstart und legte letztlich die Schwimmstrecke im Bruststil zurück. Die Zielsetzung für das zweite Triathlonjahr lautete dann einfach – die Wettkampfschwimmstrecke kraulen – alles andere ist egal. Und tatsächlich ich schaffte meine erste Mitteldistanz kraulend und da ich ein langsamer Radfahrer bin, hatte ich auf der Laufstrecke noch Reserven und genoss das „Einsammeln“ vor mir liegender Läufer.

 

Im dritten Jahr hieß es die Entscheidung treffen – Anmelden muss man sich bereits ein Jahr im Voraus und die Startplätze sind nach öffnen der Anmeldung innerhalb kürzester Zeit vergeben. Die Mitteldistanz im Frühjahr war Klasse – ich verbesserte meine Zeiten in allen drei Teildiziplinen. Doch dann kam Schömberg: ich sollte für den MTV Stuttgart in der 3. Baden-Württemberg Liga starten. Hier ist das Windschattenfahrverbot auf der Radstrecke aufgehoben, also heißt es schnell schwimmen, um mit den anderen aus dem Wasser zu kommen und nicht alleine auf dem Rad zu versauern. Schon nach 100 Metern im Wasser das Gefühl zu ersticken, keine Luft mehr, der Neo viel zu eng – doch da, 20 Meter neben mir, ein Rettungsboot der DLRG. Nichts wie hingeschwommen und eingestiegen (ich war aus der Wertung und da auf der Radstrecke ein Vereinskollege die rote Karte gezeigt bekam, wurde das ganze Team nicht gewertet). Ich schwor mir „nie wieder Rettungsboot“.

 

Der nächste Wettkampf in Erbach fiel im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser – wegen Gewitter wurde das Rennen abgesagt. So blieb mir vor dem Anmeldetermin nur noch der Ligaabschluss am Schluchsee (14.Juli – genau ein Jahr vor Roth!) um mich endgültig zu entscheiden. Nach morgendlichem Gewitter klarte das Wetter auf, nur der Wind blies kräftig über den See. Direkt nach dem Start spürte ich – das wird nichts – die Wellen schlugen mir ins Gesicht ich konnte nicht kraulen. Innerlich beendete ich das Kapitel Ironman und im Bruststil absolvierte ich die Schwimmstrecke, fuhr danach die Rad Runde und startete so ziemlich als Letzter zum Laufen. Was für ein schöner Lauf, drei Runden, dreimal an den Vereinskollegen und ihren Anfeuerungsrufen vorbei. Blumen wurden gereicht und in der letzten Runde ein Bier (es sollte das letzte alkoholhaltige Bier vor Roth werden).

 

Montag, 16.Juli 2012 nach dem Wettkampf am Schluchsee meldete ich mich für die Challenge Roth an:

 

Sonntag, 14.Juli 2013; 7.50 Uhr: Der Startschuss ertönt – ich gleite langsam und gleichmäßig durch das kühle Wasser des Main-Donau Kanals, um mich herum überall Arme, Beine, Wellen. Ich finde meinen Rhythmus und schon geht es pünktlich um 9.08 Uhr wieder ans Ufer. Neo aus, Helm auf und los geht es auf der Radstrecke. 180 herrliche Kilometer, die Zuschauer tragen mich förmlich den Solarer Berg hinauf. Schneller als erwartet erreiche ich um 15.45 Uhr immer noch gut gelaunt und motiviert die zweite Wechselzone. Jetzt sollte eigentlich meine Lieblingsdisziplin beginnen – doch nach dem Radfahren laufe ich wie auf Eiern. Nach 2-3 Kilometern geht es besser, doch die Sonne brennt. Ich trinke an jeder Verpflegungsstelle und drücke einen nassen Schwamm über meinem Kopf aus. Kilometer 10 ist geschafft, ich laufe gleichmäßig einen 6er Schnitt (min/km) und halte das Tempo fast bis zur 30 km Markierung. Es ist jetzt fast 19.00 Uhr, ich bin schon über 11 Stunden im Wettkampf, die Kräfte schwinden – die Geh- und Trinkpausen werden länger und länger. Noch kann ich eine Finisherzeit von 13 Stunden schaffen. Ich verspreche mich selbst mit einem neuen Fahrrad zu belohnen, wenn ich unter 13 Stunden finishe. Ein paar Kilometer kann ich mich damit motivieren, endlich biegt die Strecke vom Kanal ab und es geht dem Ziel in Roth entgegen. Ich nehme kaum noch etwas wahr, laufe wie im Taumel, freue mich bereits, bin fertig – alles gleichzeitig. Das Ziel taucht auf, ich mobilisiere letzte Reserven und tatsächlich nach 12:58:49 Stunden überquere ich die Ziellinie.

Tränen des Glücks fliesen mir über die Wangen.

 

Doch heute ist erst

 

Sonntag, 30. Juni 2013; 6.00 Uhr: Ich wache auf – war das alles nur ein Traum? Noch zwei Wochen bis zum Start in Roth meinem großen Ziel: aber manche Träume werden wahr!

 

Christoph Schermer

Abteilung Triathlon