Keine Sensation für die Volleyballerinnen von Allianz MTV Stuttgart. Im entscheidenden zweiten Spiel des CEV-Cup-Finals muss sich der Bundesligist den Favoriten von Eczacibasi Istanbul in eigener Halle mit 1:3 (18:25, 21:25, 25:18, 24:26) geschlagen geben. In der ausverkauften SCHARRena lieferten die Schützlinge von Tore Aleksandersen dem Star-Ensemble der Gäste jedoch einen begeisternden Kampf und waren nur einen Punkt vom Tie-Break entfernt.
Standing Ovations am Ende. Ein Team, das zurecht für die eigene Leistung gefeiert wurde. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, Allianz MTV Stuttgart hätte die Sensation gegen die Übermacht Eczacibasi tatsächlich geschafft. Minutenlang wurden die MTV-Mädels beklatscht und für eine überragende Partie gewürdigt. Zwei Medaillen innerhalb einer Woche sind aller Ehren wert, das sagte auch die starke T’ara Ceasar nach der Partie. Dass der Pokal dann doch an den Bosporus ging, darüber konnte man sich auf Stuttgarter Seite überhaupt nicht ärgern. Zu begeisternd war vorher die Partie gegen den türkischen Tabellen-Dritten gewesen. Und um es in einem Satz zusammenzufassen. Allianz MTV Stuttgart hat zwar den CEV-Pokal verloren, aber alle Herzen gewonnen. Als vollkommener Underdog in das Spiel gestartet, trotzte man Eczacibasi um die alles überragende Tijana Boskovic in beiden Finalspielen einen Satz ab. Und man hatte nie den Eindruck, dass das Team aus Stuttgart chancenlos war. Am Ende entschieden tatsächlich Kleinigkeiten. Vor allem eben die Qualität einer Tijana Boskovic.
Der Rahmen in der SCHARRena war dem eines internationalen Finals mehr als würdig. Zum ersten Mal seit zwei Jahren durfte wieder die volle Kapazität ausgeschöpft werden, 2251 Zuschauer sorgten für Gänsehaut-Atmosphäre. Vor dem Spiel hatten viele auf den Faktor Fans gesetzt, und der Stuttgarter Anhang setzte seinen Anteil bereits vor der Partie um. Doch auch die vielen Eczacibasi-Fans, die die Reise mit nach Stuttgart auf sich genommen hatten, sorgten für einen regelrechten Hexenkessel. Scheinbar beflügelt von der Atmosphäre begann Allianz MTV Stuttgart, mit der gleichen Aufstellung wie im Pokalfinale, äußerst druckvoll. Krystal Rivers schlug den gegnerischen Block zum 1:0 an, kurz danach ermöglichte ein türkischer Rotationsfehler gar das 3:0. Als Simone Lee die Annahme Hande Baladin‘s nach starkem Service von Maria Segura ins Eczacibasi-Feld beförderte, da stand die SCHARRena zum ersten Mal Kopf. Und Istanbul war ein wenig aus dem Tritt. Aufschlagsfehler und ein unzufriedener Ferhat Akbas, seines Zeichens Gäste-Coach, bestimmten das türkische Spiel. Der Stimmung im Neckarpark tat das natürlich nicht im Geringsten weh. Simone Lee drehte den Pegel mit ihrem Pipe zum 12:9 gar noch höher. Eczacibasi antwortete im Stile einer weltweiten Top-4-Mannschaft. Plötzlich stand es, dank einer starken Aufschlagsserie Beyza Arici’s und Annahmefehlern bei den Gastgeberinnen, 13:16. Die Qualität von Istanbul spiegelte sich dann im weiteren Verlauf des Satzes wider. Das serbische Gespann Ognjenovic/Boskovic dominierte, schließlich entschied ein Block gegen die eingewechselte Hester Jasper den ersten Satz.
Kurz schüttelten sich Krystal Rivers und Co., dann rappelten sich die Stuttgarter Mädels wieder auf. Eline Timmermans erstes Tempo eröffnete den zweiten Durchgang, im Anschluss blockte Simone Lee zum 2:0. Das Bild war ähnlich wie im ersten Satz. Stuttgart kämpfte, Stuttgart begann den Abschnitt wieder druckvoll. Und Eczacibasi setzte auf Tijana Boskovic. Aber Allianz MTV glaubte an die Chance. Juliet Lohuis kam, sah und blockte mit ihrer ersten Aktion das schnelle Tempo des Gegners, es stand 10:8. Bis zum 11:11 war das Spiel ausgeglichen, dann zog Eczacibasi, geführt von der überragenden Zuspielerin Maja Ognjenovic, die Zügel an. Beim 12:15 rief Tore Aleksandersen zur Auszeit, um seine Spielerinnen nochmals einzuschwören. Denn zu verlieren hatte Allianz MTV jetzt nichts mehr. Bei einem weiteren Satzverlust wäre das Finale bereits entschieden gewesen. Doch wie so oft in dieser historischen CEV-Cup-Saison drehten die in Blau spielenden Gastgeberinnen nochmal auf. Eline Timmerman und Krystal Rivers sorgten mit drei schnellen Punkten für die Auszeit von Ferhat Akbas und danach erlebten die Zuschauer eine der Szenen dieses Spiels. Simone Lee kam gerade noch an einen Angriff heran, ihre Rettungstat wurde immer länger – und fiel schließlich in die letzte Ecke des Istanbuler Feldes. Die SCHARRena tobte und als Stuttgarts Nummer Zehn im Anschluss den Ausgleich zum 19:19 markierte, da brachen alle Dämme. Leider konnte die große Leidenschaft nichtmehr in den Satzausgleich umgemünzt werden. Eczacibasi zeigte sich unbeeindruckt, erhöhte den Druck und hatte schließlich Satzball. Den verwandelte Laura Heyrman resolut, aus war der Traum für „Stuttgarts schönsten Sport“. Doch nach dieser Saison auf internationalem Boden überwiegt ganz klar der Stolz. Im Achtelfinale gegen Busto vor dem Aus, kämpfte man sich in einer magischen Nacht in den Wettbewerb zurück, es folgten das Corona-Chaos gegen Schwerin und der sensationell dominante Erfolg gegen Zagreb. Gegen Eczacibasi im Finale war man letztlich unterlegen, jedoch bot man den Türkinnen über zwei Finalspiele lang hervorragend Paroli. Und wie sagte Julia Schaefer als Co-Moderatorin im SWR-Livestream sehr passend: „Allergrößten Respekt vor diesem Team“. Besser konnte man die Situation nicht auf den Punkt bringen.
Dass das Spiel selbst natürlich noch nicht vorbei war, das wollten die Stuttgarter Mädels dann beweisen. Mit der „Jetzt-Erst-Recht-Mentalität“ startete der frischgebackene Silbermedaillen-Gewinner in den dritten Durchgang. T’ara Ceasar war für Maria Segura gekommen und die junge US-Amerikanerin fügte sich mit dem Punkt zum 1:0 glänzend ein. Krystal Rivers platzierte den Ball zum 4:1 punktgenau auf die Grundlinie, dann packte die Kapitänin den erfolgreichen Hinterfeldangriff aus (9:5). Eczacibasi, weiterhin mit der kompletten Kapelle auf dem Spielfeld geriet in der Folge sogar mit fünf Punkten ins Hintertreffen, T’ara Ceasar hatte Tijana Boskovic geblockt. Auch nach der Auszeit von Ferhat Akbas bestimmte Stuttgart weiterhin das Geschehen. Beim 14:6 baute Simone Lee die Führung aus, und diese Führung konnten die Gastgeberinnen beständig halten. T’ara Ceasar setzte nochmal Highlights, als sie einen Angriff stark longline abschloss (19:14), dann servierte die US-Amerikanerin ein Ass zum 24:17. Schlussendlich brachte Simone Lee Stuttgart auf die Anzeigentafel. Und das war mehr als verdient.
Ausgeglichen startete der nächste Abschnitt. Beim 4:4 brachte Krystal Rivers den Ball durch. Und Allianz MTV kämpfte weiterhin um jeden Punkt. Bezeichnend war der Ballwechsel zum 7:9. Erst rettete McKenzie Adams für Istanbul, dann tat es ihr Krystal Rivers gleich. Dem Treiben die Krone auf setzte dann Hester Jasper. Die Niederländerin sprintete einem verloren geglaubten Ball hinterher und kratzte diesen kurz vor der LED-Bande vom Boden. T’ara Ceasar spielte den Ball darauf in Richtung Netz, 2251 Augenpaare verfolgten gebannt, wie die Kugel immer höher stieg – und schließlich an der Netzkante hängen blieb. Kollektives Aufstöhnen in der SCHARRena und Standing Ovations waren die Folge. Angestachelt davon nahm Allianz MTV das Heft in die Hand. T’ara Ceasar glich zum 9:9 aus, dann setzte Tijana Boskovic einen Ball lang ins Aus. Führung für die Gastgeberinnen! Bis zum 19:19 war das Spiel ausgeglichen, dann brachte T’ara Ceasar die Ihren wieder in Front. Die Halle glaubte wieder an den Tie-Break. Aber Istanbul konterte. Die „Tiger“ wollten den Kraftaufwand so minimal wie möglich halten und legten nochmal zu. Beim 20:23 schien die Partie entschieden, es gab nochmal das Time-Out. Und Eline Timmerman wollte noch nicht in die Kabine. Die niederländische Mittelblockerin stellte erst den Anschluss zum 21:23 her, dann blockte sie einen Angriffsversuch der Türkinnen. Im Anschluss kam Lara Berger, glich per Ass zum 23:23 aus, danach zeigte Tijana Boskovic Nerven. Die Serbin verschlug den Angriff und Allianz MTV hatte tatsächlich Satzball. Doch das konnten die Aleksandersen-Schützlinge nicht ins Ziel bringen. Eczacibasi hatten den längeren Atem und holte sich den Sieg.
Schlussendlich bleibt nur, den Gästen zu gratulieren und vor allem Allianz MTV Stuttgarts herausragende Europapokal-Saison zu würdigen. Denn wie eingangs erwähnt. Man hat zwar den Pokal verloren. Aber die Herzen gewonnen und sich den Respekt sowohl national als auch international erarbeitet. Und zwei Medaillen innerhalb einer Woche gewonnen. Silber steht „Stuttgarts schönstem Sport“ auch überragend zu Gesicht.
Autor: Robert Raff
Quelle: Stuttgart-scheonster-sport.de