Dank einer Kooperation mit dem
MTV Stuttgart und dem TC Ditzingen
spielen Teilnehmende der Nikolauspflege
nun regelmäßig Blindentennis.
Es ist Donnerstagmittag. Wenn man
die Treppen zur großen Sporthalle vom
MTV Stuttgart am Kräherwald hochgeht,
hört man ein unbekanntes Geräusch.
Es klingt, als würden mehrere Rasseln
geschüttelt werden, die aber keinem
erkennbaren Rhythmus folgen.
Beim Betreten der Halle bietet sich jedoch
ein ganz anderes Bild. Vier Schülerinnen
und Schüler der Nikolauspflege stehen
verteilt in der Halle, alle haben einen
Tennisschläger in der Hand. Zwei Trainer,
ebenfalls mit einem Schläger ausgestattet,
geben Anweisungen. Wir sind mittendrin
im Blindentennis-Training.
Zu Beginn der Stunde findet ein kleines
Warm-up statt. Hopserlauf durch die Halle
und lange Ausfallschritte sind nur Teile
des kleinen Lauf-ABCs. Anschließend
geht es über zu Aufwärmübungen mit dem
Schläger und den besonderen Bällen.
Ballhochhalten, Ballprellen: Die Trainer
geben Hilfestellung und korrigieren dort,
wo es noch nicht so gut klappt. Nun stellen
sich die Spielerinnen und Spieler zu zweit
gegenüber, die ersten Ballwechsel finden
statt. Immer wieder kommen Hinweise
von den Trainern, wie man den Schläger
richtig hält und den Ball am besten übers
Netz führt. Hin und wieder ertönt ein
leidenschaftliches „Oh nein!“, wenn ein
Ball verfehlt wird.
Blindentennis – eine noch junge Disziplin
Erst vor 19 Jahren entwickelte sich die
junge Sportart Blindentennis in Japan.
2016 kam der Sport auch nach Deutschland
und findet seither große Begeisterung. Wer
sich schon einmal ein Tennismatch angeschaut
hat oder sogar selbst schon auf
dem roten Platz stand, der wird sich schnell
fragen, wie das überhaupt möglich sein
kann. Allein beim herkömmlichen Tennis
erwischen Spielende nicht jeden Ball – wie
soll das gehen, wenn man den Ball nicht
einmal kommen sieht?
Die Regeln des Blindentennis gehen so:
Zunächst einmal ist das Feld kleiner als
beim Tennis, und es wird durch spezielle
aufgeklebte Markierungen auf dem Boden
haptisch spürbar gemacht. Auch
die Schläger sind kleiner bzw. kürzer als
die bekannten Tennisschläger. Den größten
Unterschied macht jedoch der Ball. Dieser
ist beim Blindentennis aus Schaumstoff
und größer als herkömmliche Tennisbälle.
Zusätzlich ist in dem Schaumstoffball ein
ausgehöhlter Golfball, in dem eine kleine
Rassel mithilfe von Metallstiften verbaut
ist. Durch das auditive Signal wird der Ball
auch von Menschen mit Blindheit wahrgenommen
und kann so gespielt werden.
Dabei darf der Ball bei einem Spieler
mit Blindheit im gegnerischen Spielfeld
dreimal aufspringen, bevor er zurückgeschlagen
werden muss. Ist der Spieler
hochgradig sehbeeinträchtigt, darf der Ball
zweimal den Boden im gegnerischen Feld berühren; bei sehbehinderten und sehenden
Spielenden reduziert sich die Anzahl
auf ein einmaliges Aufkommen des Balls.
Was beim Blindentennis vor allem wichtig
ist, ist der ständige Wortwechsel vor einem
Ballwechsel.
Große Begeisterung von Anfang an
Seit Januar dieses Jahres gibt es Blindentennis nun auch an der Nikolauspflege.
Gemeinsam mit dem TC Ditzingen und
dem MTV Stuttgart wurde ein Angebot auf
die Beine gestellt, welches dankend
angenommen wird. Auf der Suche nach
einem Verein half Tanja Pannach als
Fachberaterin für Baden-Württemberg
vom Deutschen Tennis Bund weiter.
Sie vermittelte die Nikolauspflege an
den TC Ditzingen als einen der einzigen
Vereine im Raum Stuttgart mit einem
Angebot für Menschen mit Blindheit und
Sehbeeinträchtigung im Tennisbereich.
Zusammen mit dem MTV Stuttgart als
Kooperationspartner kam dann eine
Zusammenarbeit zustande. Mandy Pierer,
die Inklusionsbeauftragte des MTV
Stuttgart, Monica Schwarzenthal als
Inklusionsbeauftragte des TC Ditzingen
und Anne Kupke, Inklusionscoach an der
Nikolauspflege, organisierten gemeinsam
den ersten Blindentennis-Workshop
für die Nikolauspflege. Dabei stellt der
TC Ditzingen mit Angelo Brunetti und
Jonas Tomsu die Trainer. Die Sporthalle,
in der das Training während der kalten
Jahreszeit stattfindet, stellt der MTV, und
die Teilnehmenden kommen von der
Nikolauspflege.
Gemeinsam macht es richtig Spaß
Jonas, Melanie, Celine und Louis sind
bereits seit Beginn des Workshops dabei
und trainieren jeden Donnerstag mit ihren
beiden Trainern Angelo und Jonas in
der Halle des MTV Stuttgart.
„Blindentennis macht richtig Spaß, vor allem auch zusammen mit meinen Mitschülerinnen
und Mitschülern“, sagt Melanie. Sie ist
17 Jahre alt und macht gerade ihren Hauptschulabschluss an der Nikolauspflege.
Für sie war es vor allem die Neugier, die sie
zum Blindentennis-Training gebracht hat.
„Ich hatte vorher noch nie etwas vom
Blindentennis gehört, deshalb wollte ich
unbedingt wissen, was das ist.“ Neben
Blindentennis spielt sie an ihrem Heimatort
auch gerne Fußball mit Freunden oder sie
nutzt das Freizeitangebot der Nikolauspflege
und nimmt an der Kletter-AG teil. Auf die
Frage, was sie anderen Menschen mit
Blindheit oder Sehbeeinträchtigung über
Blindentennis sagen würde, überlegt sie
nicht lange: „Probiert es aus! Blindentennis
macht so viel Spaß und die klingenden
Bälle und unsere guten Trainer machen
das Ganze viel einfacher, als es aussieht.
Das würde jedem gefallen!“
Auch die 25-jährige Celine erzählt mit
Begeisterung, dass sie nun endlich
gemeinsam mit ihrem Vater, der schon
seit Jahren Tennis spielt, Sport treiben
kann. Ihr Ziel ist es, in den Sommerferien
gemeinsam mit ihrem Vater ein Tennismatch
zu spielen. Sie habe zwar noch etwas
Angst, da die Bälle beim Tennis natürlich
härter sind als hier im Blindentennis, aber
das Ballgefühl habe sie mittlerweile schon
gut raus und auch wie sie mit dem Schläger
umgehen muss. „Es ist anstrengend, aber
es lohnt sich!“, lächelt Celine.
Jonas erzählt, dass die Kurse für ihn eine
tolle Möglichkeit seien, wieder ins Tennisspielen einzusteigen. „Ich habe früher in meiner Heimat Tennis gespielt, deshalb
ist mir das Ganze nicht ganz unbekannt.
Natürlich sind die Bälle viel leichter, als ich es von zu Hause gewohnt war, aber sonst ist der Unterschied für mich nicht sehr groß.“
Man kann es an seinem Spiel erkennen.
Er weiß, wie er den Schläger halten muss,
und er führt den Ball elegant übers Netz
zu seinem Gegenspieler, der in diesem Fall
sein Trainer Jonas ist.
„Eine neue Sportart ist immer interessant, und ich mag es sehr, Neues auszuprobieren.“
Melanie, Schülerin der Nikolauspflege
Sport ist für alle da!
Seit 2014 ist Jonas im Tennistraining tätig.
Angefangen hat er damals als Übungsleiter
beim Kindergartentennis. Seit einem
Jahr hat er nun den C-Trainerschein und
engagiert sich neben dem Tennistraining
auch beim Blindentennis. Für ihn ist Inklusion
in den Sportvereinen ein wichtiges
Thema, das gleichzeitig richtig viel Spaß
mit sich bringt. „Ich finde es super, dass
kein Training gleich ist; jeder und jede
Teilnehmende ist unterschiedlich und damit
auch das Training.“ Was er sich wünscht,
ist, dass es auch beim TC Ditzingen bald
die ersten Mitglieder mit Blindheit oder
Sehbeeinträchtigung gibt.
Dem kann sich Mandy Pierer, Inklusionsbeauftragte
vom MTV Stuttgart, nur
anschließen. Mitglieder seien sowohl als
Vereinsmitglieder als auch in allen
Positionen in der Vereinsarbeit herzlich
willkommen und sogar gesucht. „Auch der
MTV Stuttgart möchte Schritt für Schritt
weitere inklusive Sportarten mit ins
Programm aufnehmen und das ist natürlich
noch besser machbar, wenn wir Menschen
in unseren Teams haben, die selbst
betroffen sind und uns helfen, die Dinge
aus ihrer Sicht wahrzunehmen, und sie
dementsprechend zu gestalten oder zu
verändern.“
Das wöchentliche Training dauere immer
eine Stunde und sei jedes Mal viel zu
schnell vorbei, findet Melanie. Dem
stimmt Trainer Angelo zu. „Es wäre schön,
wenn wir noch mehr Zeit hätten mit den
Teilnehmenden, die machen das super!“
Angelo ist bereits seit mehr als 20 Jahren
Tennistrainer.
Blindentennis ist aber auch für ihn noch
ein recht neues Terrain. Seit einem Jahr ist
er Blindentennistrainer. „Sport ist für alle
da! Deshalb ist die Inklusion in den
Sportvereinen auch so wichtig“, sagt er.
Autor: Anne-Maria Kupke, Inklusionscoach
Quelle: Nikolauspflege
Fotos: Bernd Eidenmüller
Nikolauspflege