Patrik Birkle hat sich den Traum vieler Triathlet*Innen erfüllt: Einmal bei der Ironman WM auf Hawaii an den Start gehen zu können, um sich mit den Besten der Besten beim Schwimmen im Pazifik, auf dem Rad in der Lava-Wüste von Big Island und beim Laufen auf dem legendären Ali’i Drive messen zu dürfen. Eine Geschichte, die 2017 begann. (Bericht und Bild von Patrik Birkle).
"Es ist Ende November 2021, Ende der Offseason und offizieller Start meines Projekts «Road to Kona 2022». Ich befinde mich am Frankfurter Flughafen mit meinem Radkoffer, einem Indoor-Trainer im Gepäck und einem mulmigen Bauchgefühl. Knapp 13 Stunden später lande ich in Shanghai, China, und werde von Beamten in Schutzanzügen in einem Bus zum Quarantäne Hotel gefahren. Für zwei Wochen gezahlt, ins Zimmer geführt und dann: Tür zu – dieses Zimmer ist also mein Heim für zwei Wochen, kein «Auslauf» erlaubt, und hier beginnt nun mein Projekt: Qualifikation für die Ironman Weltmeisterschaft in Kailiua-Kona, Hawaii.
Den Indoor-Trainer hatte ich bereits in Stuttgart gekauft, penibel den leichtesten ausgewählt, um nicht zu viel Übergepäck zahlen zu müssen. Beim Aufbauen des Fahrrads und Rollentrainers am ersten Tag fällt mir jedoch auf, dass ich das Stromkabel vergessen habe – dann halt erstmal analog trainieren. rnÜber die kommenden Monate werde ich unzählige Stunden auf diesem Indoor-Trainer und auf dem Laufband meines Unicampus verbringen. In dieser Zeit habe ich gefühlt Netflix zu Ende geschaut. Ich bin für knapp acht Monate in Peking als Teil meines Masterstudiums. Das Trainieren an der freien Luft gestaltet sich etwas schwerer als zuhause: Auf der einen Seite ist der Winter in Peking bitterkalt mit bis zu -15 Grad und bitterbösem Wind. Auf der anderen Seite heißt Freiluft in Peking nicht gleich Frischluft. Doch die Überraschung kommt, wenn das Wetter und die Luft einen guten Tag haben. Die Umgebung meiner Universität und das Hinterland Pekings sind unglaublich: Joggen gehe ich in den beiden Sommer-Palästen der früheren Kaiser und beim Radeln führt es mich Richtung Westen aus der Stadt zu unglaublichen Bergen und Tälern. Besonders beeindruckend war die Fahrt des Beijing Stelvio, der Name als Anlehnung an den berühmten Pass in den Alpen.
Als weißer, halbwegs großer Europäer muss ich ein lustiger Anblick in China während Corona gewesen sein. Vor allem beim Laufen sind mir unzählige enthusiastische Chinesen begegnet, die geklatscht und Bilder gemacht haben. Triathlon ist in China noch nicht populär. Die Zahl der chinesischen Läufer nimmt jährlich zu und an Fahrrädern mangelt es ihnen auch nicht (das Lied «There are 9 million bicycles in Beijing» ist bereits aus 2005). Rennräder sind jedoch selten und Schwimmbäder gibt es nicht allzu viele. Glücklicherweise hatte ich in Laufnähe auf meinem Unicampus das große Vorbereitungsbecken der Olympischen Spiele von 2008 zur Verfügung.
Zu Beginn meines Projektes «Road to Kona 2022» hatte ich den Ironman Taiwan im April 2022 im Auge. Leider war mein Visum nur ein One-Way Entry nach China, weshalb ich diese Pläne schnell verwerfen musste. Mit meiner geplanten Rückkehr nach Stuttgart Anfang Juli habe ich mich schlussendlich für den Ironman Gdynia in Polen entschieden. Damit hatte ich mindestens vier Wochen vor dem Wettkampf Zeit in Stuttgart unter «normalen» Bedingungen zu trainieren.
Das Qualifizieren für die Weltmeisterschaft auf Hawaii basiert auf der Altersklassenwertung (AK). Abhängig von der Anzahl der Teilnehmer je AK gibt es verschiedene Anzahlen von Slots für die WM. In meiner AK (25-29) gibt es meistens zwei Slots - einer davon war mein Ziel!
Fast-forward - Anfang August und wieder packte ich mein Fahrrad, diesmal jedoch ins Auto und los geht es in Richtung Polen. Nach einigen Tagen vor Ort mit letzten Trainingseinheiten kam endlich der lang ersehnte Renntag und ich lieferte das Rennen meines Lebens. Nach den 3.8 km Schwimmen war ich gesamt auf Platz sechs, nach 180 km Radfahren gesamt Vierter. Doch für mich war nur die AK-Platzierung wichtig – und dort war ich Dritter. Zum Glück hatte ich den Tag meines Lebens. Dank super Unterstützung meiner Mutter am Streckenrand, wusste ich jedoch, dass ich dem zweiten Platz näherkam. Nach 10km war ich auf Platz zwei vorgelaufen – cool bleiben und weiter geht's, fertig ist es im Ziel. Ab Kilometer 30 machte sich mein Magen bemerkbar, zu diesem Zeitpunkt hatte ich jedoch einen Vorsprung von knapp zehn Minuten auf den Dritten in meiner AK herausgelaufen. Auf den letzten sieben Kilometern wurde ich von drei Athleten überholt, zum Glück aus anderen AKs, und so kam ich am Strand Gdynias nach 9:23 Stunden als Zweiter in meiner AK und Sechster gesamt ins Ziel – Mission accomplished!
Eine Konsequenz des späten Rennens in Polen war, dass ich nur acht Wochen bis zur WM nach Kona hatte. Das bedeute, dass ich bereits zwei Tage später zurück auf dem Rad war. Nach vielen Tagen und Wochen, gefüllt mit sehr anstrengenden und zeitintensiven Trainingseinheiten, zeitweise unterstützt und motiviert durch viele MTV Triathleten, ging es Ende September endlich nach Hawaii.
Einmal um die halbe Welt und ich werde von 38 Grad und 85% Luftfeuchtigkeit begrüßt. Ich bin rechtzeitig angereist, um mich an diese Konditionen so gut wie möglich zu gewöhnen. Nach einigen Tagen und Trainingseinheiten reisten auch meine Eltern an – fünf Tage noch bis zum Rennen.
Ehe ich mich versehe, stehe ich bereits in der Registration, hole meine Startunterlagen ab, bekomme mein Startband am Handgelenk befestigt und wenig später steht mein Fahrrad am Pier von Kona, inmitten weiterer 2.500 Räder. Noch einmal schlafen und dann heißt es: Go-Time!
Aufstehen 4:30 Uhr, Frühstück 4:45 Uhr, Dunkelheit am Pier und eine unüberschaubare, energiegeladene Menschenmenge an Athleten, Familienangehörigen, Supportern und Freiwilligen. Schwimmen im Pazifik war eine wahre Freude, ab aufs Rad und 90 km in Richtung Norden, Wendepunkt in Hawi und wieder zurück. Die große Hitze zehrte sehr an meinem Körper, bei km 150 brachte neben viel Wasser auch eine kalte Cola über Helm und Körper die immer ersehnte Kühlung – klebrig, aber besser als keine Kühlung. In der Wechselzone angekommen wartete jetzt die Marathonstrecke auf dem schwarzen, heißen Asphalt auf mich, von Schatten war nur zu träumen. Ab dem berühmt-berüchtigten Energy Lab bei Kilometer ~25, welches erneut viel mentale Stärke fordert, wurde es nochmals richtig hart, die Sonne brannte erbarmungslos auf die schwarzen Lavafelder. Dort traf ich die Entscheidung, einen Gang rauszunehmen und lieber die letzte Stunde des Rennens zu geniessen – zu lange habe ich für dieses Erlebnis trainiert.
Nach 10:12 Stunden laufe ich die letzte Rechtskurve auf den Ali’i Drive, dort liegt bereits der rote Teppich, über diesen laufe ich bis ins Ziel und sämtliche Emotionen des Tages, der vergangenen Wochen und Monate, der letzten Jahre brechen gleichzeitig auf mich ein. Vollkommen verschwitzt, mit einer Unmenge an Eiswürfeln im Anzug, Gänsehaut am ganzen Körper und einem grotesken Lächeln auf dem Gesicht laufe ich durch das grosse Ironman-Zieltor. Aus dem Mikrophon dröhnt: YOU ARE AN IRONMAN!
Ein Ironman – viele Supporter: Im Jahr 2017 hat sich der Traum Ironman WM geformt und mit der unglaublichen Unterstützung von Maike Hohlbaum habe ich 2018 meinen ersten Ironman in Italien beenden können. Die Tipps und Unterstützung des ehemaligen Profi-Triathlet Philipp Bahlke waren in dieser Saison unbezahlbar. Dazu kamen die unzähligen motivierenden Worten der anderen Abteilungsmitglieder. Der grösste Dank gilt meiner Familie, die mich bei meinen weiten Reisen, unzähligen Trainingseinheiten, an die Kühlschrankkapazitätsgrenze-bringenden-Essenmengenzubereitungen und diesem Traumprojekt immer unterstützt haben. You rock!"
Herzlichen Glückwunsch, lieber Patrik, zu deinen herausragenden Leistungen und Danke für die Begeisterung, die du uns beschert hast!