Rückzug aus der 1.Liga

MTV-Männerteam vor dem letzen Heimwettkampf

Der MTV Stuttgart zieht ab der Saison 2019 seine Bundesligamannschaft im Turnen aus dem Ligabetrieb zurück.

 

Der Entscheidungsprozess zu diesem schwerwiegenden Schritt zog sich über ein Jahr hin und wurde im MTV-Vorstand letztendlich einstimmig gefällt.

Es gibt im Wesentlichen drei Gründe, die jeweils sehr komplex sind:

 

 

1.) Vergütungen der Turner

 

In der Deutschen Turnliga gab und gibt es keine Vorgaben für eine Vereinheitlichung der Vergütung von Turnerinnen und Turnern durch die Ligavereine. Während der MTV Stuttgart den sehr strengen Auslegungen der Landesversicherungsanstalt Baden Württemberg ausgesetzt ist, gelten bei anderen Vereinen scheinbar andere Bestimmungen oder es erfolgen schlicht keine Prüfungen.

Seit Jahren verlangt der MTV eine Vereinheitlichung (so wie in anderen Profi-Ligen auch) und hat im Frühjahr dieses Jahres die DTL explizit und mehrfach aufgefordert, mit den Spitzen der Finanzverwaltung und der SV-Träger eine gesamtdeutsche Lösung für die Vergütungen in der Turnliga herbeizuführen, und diese dann im Ligabetrieb innerhalb des jährlichen Lizenzierungsprozesses durchzusetzen. Dies ist in anderen Profiligen selbstverständlich, ebenso wie die Prüfung der Geschäftsbilanzen und die Einforderung von Unbedenklichkeitserklärungen von Finanzamt, SV-Träger und Berufsgenossenschaft. In der DTL gibt es kein Kontrollsystem.

Diesem eigentlich existenziellen MTV-Anliegen wurde nicht nachgekommen, obwohl der MTV Stuttgart im Februar 2018 den Rückzug aus der Liga als mögliche Konsequenz mehrfach angekündigt hatte.

Der MTV Stuttgart hat durch diese Wettbewerbsverzerrung deutlich schlechtere Bedingungen auf dem Transfermarkt.

Dies mag auch ein Grund sein, weshalb sich in den letzten 15 Jahren zahlreiche Turnmetropolen zurückgezogen haben (Berlin, Hannover, Chemnitz, Halle, München) und jetzt nur noch kleinere Clubs in der 1.Liga agieren.

 

 

2.) Bundesliga-Situation

 

Vor rund 40 Jahren wurde beschlossen, unter Federführung des Schwäbischen Turnerbundes (STB) einige württembergische Vereine, die in verschiedenen Ligen turnten, in einem gemeinsamen Liga-Team zusammenzufassen, das dann geeint in der 1.Liga starten soll. Diese „Württembergische Kunstturnvereinigung“ (WKTV Stuttgart) war in der Folge äußerst erfolgreich bis der Verein 2002 in eine finanzielle Krise geriet. MTV-Geschäftsführer Karsten Ewald übernahm als Privatperson und ehrenamtlich die Leitung und sparte die WKTV zunächst auf niedrigem Niveau irgendwie gesund. Dann übernahm der MTV Stuttgart ab 2011 die Turnerinnen und Turner und ging mit großem Einsatz sofort in den Angriff über, der 2014 auch in der Doppelmeisterschaft gipfelte. Nun ja - ab dann griff vor allem Punkt 1.)

 

Derzeit beobachten wir eine im Vergleich zur WKTV-Gründung gegenteilige Entwicklung. In der 1.Liga gehen allein 4 württembergische Teams an den Start (Heilbronn, Wetzgau, Straubenhardt und Stuttgart). Alle versuchen, auf die Kaderturner im Kunst Turn Forum zurückzugreifen, deren Zahl aber endlich ist.

Es entstand ein aus württembergischer Sicht unproduktiver Konkurrenzkampf. Der Schwäbische Turnerbund, als Betreiber des Leistungsstützpunktes, wahrte stets strikte Neutralität. Die Meinung des MTV Stuttgart, dass Stuttgarter Turner auch für einen Stuttgarter Verein turnen sollten, wurde nicht akzeptiert.

So haben wir nunmehr einen Zustand wie vor 40 Jahren und mit dem Rückzug des MTV Stuttgart wird der Turnstandort Stuttgart – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – deutlich geschwächt.

 

 

3.) Zuschauerinteresse

 

Wir mussten konstatieren, dass das Zuschauerinteresse in starkem Maße abhängig ist vom Auftritt heimischer Turnstars. So konnte der MTV in den Jahren 2013 bis 2015 (mit Nguyen und Hambüchen) sehr gute Zuschauerzahlen in der SCHARRena verzeichnen. Bei einigen Vergleichen war die SCHARRena sogar ausverkauft.

Nach den strikten Auflagen der Sozialversicherungen an den MTV Stuttgart (alle Turner sind Angestellte, selbst die „Durchleitung“ von Fördergeldern der Stuttgarter Sportförderung e.V. sind zu 100% abgabepflichtig) mussten wir den Kampf um die Stars verloren geben. Andere Vereine hatten bei diesen Verpflichtungen durch die unter Punkt 1 erwähnten Umstände deutliche Vorteile. Nachdem der MTV nicht mehr mit den s.g. Superstars auftreten konnte, sanken die Zuschauerzahlen signifikant. Selbst bei den Turnern aus der zweiten Reihe wirkte sich die Wettbewerbsverzerrung (siehe Punkt 1) gravierend aus. Es ist uns in der Folge nicht gelungen, mit Teams der Mittelklasse, die Zuschauerherzen zu erobern.

Außerdem gibt es durch den Deutschen Turnerbund (DTB) Terminvorgaben für die Wettkampfwochenenden der Deutschen Turnliga (DTL), die zumeist äußerst unpassend sind (u.a. Brücken- und Feiertage, Sommerferien etc.). An anderen Wochenenden werden die Kaderturner des DTB geblockt. Hinzu kommt, dass es bei 3 bis 4 Heimwettkämpfen im Jahr gerade in einer Großstadt kaum möglich ist, nachhaltige Fanstrukturen zu entwickeln.

 

 

Fazit:

 

Der MTV Stuttgart zieht sich zwar aus der 1.Liga der Männer zurück, aber nicht aus dem Turn-Leistungssport.

Wir werden unser erfolgreiches Frauenteam in der 1.Bundesliga erhalten und tragen uns mit dem Gedanken, in die männliche Nachwuchsbundesliga einzusteigen. Es gibt einige sehr gute MTV-Talente im Kunst Turn Forum und wir sehen es gerade nach dem Abgang der „goldenen Generation“ (um Nguyen und Hambüchen) als unsere Aufgabe an, eine neue, leistungsstarke Turngeneration zu fördern.

Selbstverständlich fördert der MTV Stuttgart seine MTV-Einzelturner und Turnerinnen weiterhin aktiv, um ihren Start in der Nationalmannschaft zu ermöglichen – gerade im Hinblick auf die Turn-Weltmeisterschaften von 2019 in Stuttgart, wo der MTV auch organisatorisch ein verlässlicher Partner sein will und wird.